Manchmal werde ich nach meinen Lieblingsbüchern gefragt. Ich nenne zum Beispiel Bohumil Hrabals Schöntrauer und Carson McCullers‘ Die Ballade vom traurigen Café, zwei Werke, die viel zu wenige Menschen kennen.

Was mich aber wirklich schmerzt, das ist: Wenn ich Friedrich Torbergs Die Tante Jolesch erwähne und Leute dann sagen, sie hätten davon nie gehört.

Es ist schlimm, nein, es ist schlimmer: Es ist traurig.

Friedrich Torberg, 1908 in Wien geboren und 1979 dort gestorben, war Schriftsteller und Journalist, Drehbuchautor und Publizist, Polemiker und Übersetzer (von Ephraim Kishons Büchern nämlich), ein, wie er das selbst nannte, tschechischer Österreicher und Jude, Emigrant und Antikommunist. Er hat mindestens einen großartigen Roman geschrieben, Der Schüler Gerber, konnte vor den Nazis noch gerade eben so in die USA fliehen, kehrte 1951 nach Wien zurück, blieb aber us-amerikanischer Staatsbürger. Seine Frau Marietta, mit der er 17 Jahre lang verheiratet war, sagte einmal über ihn, er bestehe „zu mindestens fünfzig Prozent aus Humor“. Auf dem Wiener Zentralfriedhof liegt er in einem Ehrengrab, neben Arthur Schnitzler übrigens, das war sein Wunsch.

Die Tante Jolesch hat den Untertitel Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten, was einerseits ironisch auf Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes anspielt, andererseits die Hauptform des Buches annonciert: die Anekdote eben.

Dies ist ein geistreiches, unglaublich komisches, weises, wehmütiges, melancholisches, heiteres, reiches und gerade deshalb auch trauriges Buch. Denn die Welt, die Torberg schildert, die des jüdischen Bürgertums in Österreich, Ungarn und Prag, die gibt es selbstverständlich nicht mehr. Es war die Welt von Egon Erwin Kisch, Franz Molnár, Alfred Polgar, Max Brod (der übrigens Torbergs Entdecker war), es war die des Prager Tagblatts, eines Kellners namens Neugröschl und eines Religionslehrers namens Grün und des Journalisten Tschuppik, der davon träumte, eine Tageszeitung namens Der Arsch zu gründen, die dann von den Verkäufern abends den aus der Oper Herauseilenden mit tonlos geschäftsmäßiger Stimme angepriesen würde: Der Oasch ... der Oasch ... der Oasch.

Den Anwalt Sperber möchte ich erwähnen. Der verteidigte einmal einen Einbrecher, dem zwei Taten zur Last gelegt wurden, eine bei Tag begangen, eine im Schutz der Nacht. Der Staatsanwalt prangerte die Frechheit des Mannes an, der am helllichten Tag einbreche, wenn niemand damit rechne, dann wieder im Schutz der Dunkelheit – worauf Sperber ihn mit den Worten unterbrach: „Herr Staatsanwalt, wann soll mein Klient eigentlich einbrechen?“

Mehr erzähle ich nicht. Lesen Sie bitte das Buch endlich, wenn tatsächlich auch Sie es noch nie gelesen haben sollten, bitte!

Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten, dtv, 12 Euro