Bis zur Olivenernte war ich heuer viel in Italien. Da konnte das große Erschrecken über die italienische Politik nicht ausbleiben. Als Deutscher halte ich mich immer sehr zurück, wenn es um dieses Thema geht, ich möchte nicht belehrend oder besserwissend erscheinen. Andererseits sind meine italienischen Freunde selbst sehr erschrocken gewesen über das letzte Wahlergebnis, das unter anderem zur Wahl eines bekennenden Mussolini-Anhängers ins zweithöchste Amt des Staates, das des Senatspräsidenten geführt hat. Der Mann heißt Ignazio Benito La Russa, beherbergt in seiner Mailänder Privatwohnung etliche Mussolini-Devotionalien, die er Besuchern auch gerne vorführt, und zeigte 2017 im Parlament den sogenannten Römischen Gruß, in Italien das Pendant zum Hitlergruß.

Im Oktober habe ich deshalb endlich Hans Wollers bei C.H. Beck erschienene Mussolini-Biographie gelesen: Mussolini. Der erste Faschist. Woller war lange Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, arbeitete in den achtziger Jahren am Deutschen Historischen Institut in Rom und schrieb einiges über die italienische Geschichte. Vor einigen Jahren veröffentlichte er ein vorzügliches Buch über das Leben des Fußballers Gerd Müller, gerade erst kam Jagdszenen aus Niederthann heraus, die Rekonstruktion eines rassistischen Verbrechens in einem oberbayerischen Dorf in den siebziger Jahren.

Woller zeichnet ein sehr differenziertes Porträt des Duce, der bis heute in Italien Gegenstand etlicher Legenden ist. (Wobei nicht vergessen werden sollte, dass Italien auch eine großartige Geschichte der Resistenza, des Widerstands gegen den Faschismus, hat!) Seine Schandtaten und die seines Regimes wurden nie angemessen gesühnt oder auch nur breit thematisiert: Giftgaseinsätze in Libyen, Kriegsverbrechen in Jugoslawien, das Aushungern der Bevölkerung in Griechenland, Massenmorde in Abessinien, der brutale Antisemitismus. Nein, der Rassist Mussolini, dessen Milizen in den Jahren 1919 bis 1922 Tausende von Italienern ermordeten, ist  bis heute mancherorts Gegenstand der Verehrung, nicht nur in seinem Geburtsort Predappio. In nicht wenigen Souvenirshops im Lande kann man sein Bildchen käuflich erwerben, und viele tun das wohl auch.

Vielleicht müsste allerdings das Schlusskapitel des Buches, 2014 verfasst, heute überarbeitet werden. Woller schrieb damals: „Namentlich die Gefahr einer Renaissance des Faschismus ist heute gering.“ Und auch: „Mittlerweile ist das parteipolitische Kapital des Neofaschismus fast restlos aufgebraucht.“

Könnte sein, dass man das heute anders beurteilen muss.

Hans Woller, Mussolini. Der erste Faschist.  C.H. Beck, 26,95 EUR