In der Post ist ein kleines Buch, Mit herzlichen Grüßen von Michael Maar, den ich zu meinem Bedauern persönlich gar nicht kenne. Aber die Presseabteilung des Rowohlt-Verlages schickt mir trotzdem und zu meiner Freude dieses Werk: Fliegenpapier

Selbstverständlich schaue ich sofort nach, was das ist, ein Fliegenpapier, und entdecke: Damit sind diese klebrigen Streifen gemeint, die man früher (und manchmal noch heute) aufhängte (oder eben aufhängt), damit an ihnen die lästigen Fliegen hängenblieben und -bleiben. 

So geht es mir seitdem mit dem Buch. Es liegt neben einem Sessel und bisweilen, wenn ich mich in diesen Sessel fallenlasse, lese ich darin und bleibe selbstverständlich hängen, länger als ich wollte, weil das Buch so unterhaltsam ist. Bloß, im Gegensatz zur Fliege: Ich schwebe doch irgendwann wieder davon und tue meine Dinge, froh, keine Fliege zu sein, sondern mich durch das Buch in erheitertem Zustand zu befinden. 

Maar ist Germanist, Kritiker und vielmals ausgezeichneter Schriftsteller. Vor drei Jahren habe ich sein wirklich tolles Buch Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literaturgelesen, auch ein Werk übrigens, das man immer mal wieder und so zwischendurch lesen kann, eine Art von spielerischer, vergnüglicher und bildender Literaturgeschichte.  

Fliegenpapier ist etwas anderes, eine kleine Sammlung von Notizen, Lesefrüchten, Anekdoten, Aphorismen, alles so neben der Arbeit und mitten im Leben entstanden. Maar hat seinen Stoff überall gefunden, beim fränkischen Sparkassenberater einerseits, der auf den Seufzer, man müsse vom Telefon- nun wohl jetzt zum Online-Banking wechseln, mit dem Satz „Ja, das ist jetzt der Zahn der Zeit“ reagiert, bis, andererseits, zu einer Fußnote in irgendeinem Werk Peter Sloterdijks, der Paul Valéry zitiert: Gott habe die Welt aus dem Nichts geschaffen. Aber das Nichts schimmere durch. 

Solche Bücher muss man überall liegen haben, Zwischendurch-Lektüren, Kolumnen von Doris Knecht, Ina Strübel oder Kathrin Passig, Heinz Berggruens, des großen Galeristen, Spielverderber, nicht alle oder, vor langer Zeit, Werner Fulds erfundene Kafka-Anekdoten, geistige Imbisse quasi, nicht große Gerichte. Maar schreibt im Vorwort, seine kleinen Texte seien nach keinem anderen Prinzip geordnet als dem der Petersburger Hängung. 

Das musste ich selbstverständlich auch nachschauen und las bei Wikipedia, mit dem Begriff sei eine besonders enge und dichte Hängung von sehr viele Gemälden gemeint, das Wort gehe auf die üppig bestückten Wände der Sankt Petersburger Eremitage zurück. Und dann: „Objekt der Bewunderung ist letztlich nicht das einzelne Bild, sondern derjenige, der über die Mittel verfügt, eine große Kunstsammlung zusammenstellen zu können.“ 

Ja, Maar hat diese Mittel, und ich bewundere ihn dafür, mit großem Vergnügen und auch voller Neid auf dieses große Wissen, das überall seine Quellen hat und aus allen schöpft, und das er uns hier mal so eben zur Verfügung stellt.

Michael Maar, Fliegenpapier. Vermischte Notizen. Rowohlt. 20 Euro