Nun ist das neue Buch erschienen und die Spannung, die mit so einem Termin immer verbunden ist, hat sich gelöst. Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte ist nach gut einer Woche gleich auf Platz 2 der Bestsellerliste gerutscht, alle sind froh darüber und, ähem, also: heiter.
Wie immer kommt viel Leserpost. Nach dem Aufsatz, den ich in der ZEIT zum Thema geschrieben hatte, notierte Herr K. in einem Leserbrief dort, dass es doch „Verwirklichungen eines Auswegs aus unserer eingefleischten mentalen Unruhe“ gebe: „Das Endziel Zen-buddhistischer Lebensweise ist Heiterkeit (im Hackeschen Sinn).“ Das ist wahr, es wird übrigens im Buch auch thematisiert (vielleicht zu wenig?), in der ZEIT war bloß kein Platz dafür.
Leserin K. schreibt, sie habe das Buch mit großem Gewinn gelesen, frage sich aber, warum ich Hermann Hesses Gedicht Stufen nirgends erwähnt hätte.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Es sei ihr „in schweren Zeiten oft ein wichtiger Hinweis, auch jetzt wo mein Mann krebskrank ist. Oder hab ich da was übersehen?“ Nein, das hatte sie nicht, musste ich beichten, mir war das Gedicht nicht nur nicht präsent, sondern sogar ganz und gar unbekannt gewesen, und so habe ich nun durch K.s Brief wieder ein Stück Literatur kennengelernt. Leserinnen bilden Autoren.
Wie ich übrigens überhaupt kein großer Hesse-Kenner bin, das wird nun offenbar.
Frau H. berichtet: „Anstoß für dieses mail war, dass ich, während ich Ihr Buch hörte, innerlich auf das Zitat von Hesse gewartet habe, der seit Jahren als lebensgroßes Poster bei mir an der Tür des Arbeitszimmers hängt, und dessen Definition von Heiterkeit mir immer schon so gut gefallen hat, dass ich den Text auswendig lernte, um ihn für mich zu konservieren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie das Zitat nicht kennen, gerade weil es die Ernsthaftigkeit und innere Haltung auch Ihrer Definition so gut zum Ausdruck bringt.“
Das Zitat auf dem Plakat lautet: "Heiterkeit ist weder Tändelei noch Selbstgefälligkeit, sie ist höchste Erkenntnis und Liebe, ist Bejahen aller Wirklichkeit, Wachsein am Rand aller Tiefen und Abgründe. Sie ist das Geheimnis des Schönen und die eigentliche Substanz jeder Kunst."
Ja, nun, auch dies wusste ich nicht, aber es wird Anlass sein Hesses Roman Das Glasperlenspiel nach Jahrzehnten wieder mal zu lesen, aus dem der Satz stammt. Wer ihn genauso schön findet wie Frau H. und nun auch ich, der kann das Plakat übrigens immer noch bei Suhrkamp bestellen und auch an die Arbeitszimmer-Türe heften, hier geht das.
Michael Maar, der Literaturkritiker und Schriftsteller, schrieb mir (was mich besonders freute), wie sehr ihm das Buch gefallen habe, erwähnte ein paar Punkte und auch, dass es zu Thomas Manns Heiterkeit noch viel zu sagen gäbe. Manns Begriff von Humor und Heiterkeit ist ja an einigen Stellen meines Buchs ein Thema – und ich wurde nun darauf aufmerksam, dass Michael Maar schon vor einiger Zeit bei Suhrkamp ein Werk namens Das Blaubartzimmer. Thomas Mann und die Schuld veröffentlicht hat, das es leider nur noch antiquarisch gibt. Ich habe es gleich gelesen, nein, verschlungen, denn es handelt sich um eine Art von biografisch-philologischem Krimi.
Maar beginnt im Frühjahr 1933, als Thomas Mann unerwartet ins Exil getrieben ist und seine Tagebücher sich für kurze Zeit in den Händen der Nazis befinden, bis sie ihn dann doch erreichen und er sie auf der Stelle vernichtet. Wochenlang fürchtet er einen Anschlag „gegen die Geheimnisse meines Lebens“, die schwer und tief seien, „Furchtbares, ja Tötliches kann geschehen“. Was da stand, weiß niemand, aber Maar, ein brillant-genauer Leser und Kenner, durcharbeitet das Mannsche Gesamtwerk von der Frage geleitet, was da gemeint gewesen sein könne.
Ein selbst begangenes oder jedenfalls erlebtes Verbrechen? Eine Art von Schuld?
Das lässt sich nicht klären – aber das Gefühl von Schuld ist doch in fast allen Texten Manns präsent, wie sich belegen lässt. Maar schreibt über diese Schuld: „Ohne sie wäre Thomas Mann nicht der große Psychologe der Weltliteratur geworden, den die Leserschaft in ihm verehrt.“ Ja, er geht weiter (und da sind wir wieder beim Ausgangspunkt und meinem Thema), „auch zu dem großen Humoristen wäre er nicht geworden“. Denn darum geht es ja in meinem Buch, dass Humor und Heiterkeit ihre Verankerung und Begründung im Ernst des Lebens brauchen, um uns nützlich sein zu können. Und Maar weiter: „Das Schuldgefühl gibt dem Humor und den Seeleneinblicken die Tiefe, die dem Unschuldigen verschlossen ist.“
Großartig. Man liest Mann anders, wenn man Maar gelesen hat.