Mit einer gewissen Rührung notiere ich immer wieder, wie sehr viele Leserinnen und Leser an Bosch, meinem alten Kühlschrank und Freund, hängen. Erwähne ich ihn während einer Lesung, höre ich garantiert irgendwo im Saal einen sentimentalen Seufzer, und immer wieder werde ich beim Signieren hinterher gefragt, wie es dem alten Herrn denn so gehe. Und dass ich ihn grüßen solle!

Manchmal habe ich dann ein schlechtes Gewissen, wenn jemand am Büchertisch Nächte mit Bosch kauft, mein erstes Buch, 1991 erschienen. Darin befindet sich zwar die erste von allen Geschichten, die ich je über meinen sprechenden Kühlschrank schrieb, ein Text vom Ende der achtziger Jahre. Aber eben auch nur diese eine. Ich denke: Hoffentlich sind die Leute nicht enttäuscht, weil sie vielleicht ein ganzes Buch über den Alten erwarten.

Ansonsten gibt es in dem Buch Erzählungen, Reportagen, Glossen, deren Zusammenhang allein darin besteht, dass man nie so genau weiß, was nun erfunden und was wirklich passiert, was also Reportage und was Erzählung ist.

Eine Geschichte zum Beispiel über Leute, die Sammlungen von manchmal 50.000 kleinen Modellautos besitzen, hielten immer viele Leute für ausgedacht. Sie ist aber in jedem Punkt genau so geschehen, wie es erzählt wird.

Deshalb lautet der Untertitel des Buches auch 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten. Es ist seit mehr als dreißig Jahren immer wieder neu erschienen, mit Bosch-Titelbildern von Marcus Herrenberger, Michel Keller, Rotraut Susanne Berner und Michael Sowa.

Über den Kühlschrank selbst werde ich wohl so an die zwanzig oder dreißig Geschichten geschrieben haben, schätze ich. Die meisten erschienen in meiner Kolumne Das Beste aus meinem Leben im Süddeutsche Zeitung Magazin, etliche kann man in Das kolumnistische Manifest nachlesen. Irgendwann habe ich dann aufgehört, über ihn zu schreiben. Warum? Der alte Bosch wurde mir langweilig, ehrlich gesagt, nicht in Wirklichkeit natürlich, aber als Gegenstand meiner Arbeit.

Denn dieser Kühlschrank entwickelt sich ja nicht sehr, es gibt selten etwas Neues über ihn zu berichten, das ist ja gerade der Witz an dieser Figur. Sie ist vertraut in ihrer Beständigkeit, sie gibt Sicherheit im Spenden von Bier und Essen, sie steht immer am selben Platz. Irgendwann ist da einfach nichts Neues mehr zu erzählen, und dann wird es öde für den Autor.

Außerdem hat Bosch selbst immer viel mehr Wert auf Diskretion gelegt als ich. Ihm war es nie ganz recht, dass ich über ihn schrieb. Also hörte ich auf damit. Nur während des ersten Pandemie-Jahres, 2020, gab es noch mal zwei Kolumnen über ihn, die mir richtig Spaß machten, denn er musste ja plötzlich auf eine neue Weltlage reagieren, auf seine Weise. Und da war nun etwas Neues. Diese Gelegenheit galt es zu nutzen.

Also unterhielten sich Erzähler und Kühlschrank damals wieder öffentlich, während des Lockdowns im März 2020.

„Mir fällt auf“, sagte er, „dass du viel daheim bist.“
„Ist im Moment üblich“, sagte ich. „Alle sind viel daheim.“
„Warum?“
„Weil man sich draußen mit dem Corona-Virus anstecken könnte, also bleibt man drinnen.“
„Kenne ich“, sagte er.
„Was kennst du?“
„Das Drinnenbleiben. Ich habe mein ganzes Leben drinnen verbracht. Ich war überhaupt noch nie draußen. Draußen existiert für mich praktisch nicht, es ist für mich wie … das Weltall. Ein unerreichbarer Ort.“

(Aus der Kolumne im März 2020)

Ich komme darauf zu sprechen, weil ich in letzter Zeit wieder viel Post bekam, Bosch betreffend. Wer etwas über alte Kühlschränke irgendwo auf der Welt oder in der eigenen Küche zu berichten hat, kann mir übrigens gerne schreiben: axelhacke@axelhacke.de. Und über die erwähnte Post werde ich in den kommenden Briefen aus dem Büro berichten, vielleicht kommt er hier auch mal wieder selbst zu Wort, wir werden sehen. (Ich muss noch mal mit ihm darüber reden.)

„Ich habe hier auf meinem Posten irgendwann begriffen, dass ich mich nicht fürchten sollte, vor dem, das eh nicht in meiner Macht steht“, sagte Bosch. „Ich sollte mich auf das konzentrieren, was meine Aufgabe ist: kühlen, kühlen, kühlen.“
„Finde Klarheit in der einfachen Aufgabe, heute deine Sache gut zu machen“, sagte ich leise.
„Was ist das?“
„Du hast gefragt, was ich lese. Es ist ein Buch über die Philosophie der Stoiker, und das ist der Satz, bei dem ich gerade war. Ich habe nie so viel über Philosophie gelesen wie jetzt.“ Ich klappte das Buch zu, schloss die halb volle Bierflasche und stellte sie in den Kühlschrank. „Gute Nacht!“
„Desinfizier‘ mir noch die Klinke“, sagte er. „Sei so gut.“

(März 2020)

Frohe Ostern!, soll ich ausrichten an alle, sagt er mir gerade, und dass er auch sehr berührt sei vom Interesse an seinem eigentlich doch so uninteressanten Leben. Und das wünsche ich natürlich auch allen: ein schönes Osterfest in diesen schwierigen Zeiten.

PS: Wer mag und ein Digital-Abonnement der Süddeutschen Zeitung hat (oder bereit ist, ein Probe-Abo abzuschließen), kann beide Corona-Bosch-Kolumnen übrigens immer noch nachlesen. Die eine erschien im März, die andere im Mai 2020.