Im Grunde bin ich ein ordentlicher Mensch, aber meinem Büro sah man das seit Jahren nicht mehr an. Ich hatte einfach so viel zu tun und war so viel auf Reisen, dass ich nichts mehr dahin legte, wo man es hätte wiederfinden können, sondern alles nur noch auf große Stapel von Büchern, Briefen, Akten, Zeitschriften warf. Es war fürchterlich und am Ende so schlimm, dass ich mein Büro zu hassen begann, in dem ich nur noch herumstaksen konnte wie ein Storch im Salat. Ab einem gewissen Punkt war ich soweit, dass ich glaubte, man könne dieses Büro ohnehin nie mehr in Ordnung bringen, alles sei sinnlos, und ich müsste den Raum aufgeben und einfach ein neues Büro beziehen.
Irgendwann raffte ich mich aber doch auf und schaffte wenigstens soweit Ordnung, dass der Fußboden des Arbeitszimmers wieder zu sehen war und sich alle Bücher in den Regalen befanden, wenn auch unsortiert. Im Rahmen dieser Arbeiten verlagerte ich sechs Schachteln jeweils ein Regal tiefer. Sie haben Schubladen, in denen ich Rechnungen für meine Umsatzsteuer und für die Krankenversicherung aufhebe, aber – der Mensch ist ein Gewohnheitstier – nun lege ich diese Belege immerzu in die falschen Fächer, weil meine Bewegungen aus Jahren des Chaos so automatisiert sind, dass ich stets in falscher Höhe ins Regal fasse. Ich lege also Quittungen von meinen Lesereisen in die weiße statt in die grüne Schublade und Arztrechnungen versuche ich zwischen die Bücher von Sempé und Wilhelm Busch zu stopfen, bis ich merke, dass ich mich langsam mal umstellen muss.
Übrigens dauert Aufräumen bei mir immer sehr lange. Ich finde ja dauernd etwas, das ich gar nicht gesucht habe, meine erste Kolumne für das Süddeutsche Zeitung Magazin zum Beispiel, erschienen am 25. Mai 1990. Das ist beinahe 24 Jahre her, und da ich demnächst 68 werde, stelle ich fest, dass ich schon mein halbes Leben lang solche Kolumnen schreibe. Das hat mich so melancholisch gestimmt, dass ich erst einmal nicht weiter aufräumen konnte, dann aber doch.
Später fand ich einen Zeitungsartikel mit dem Titel Der Wurzelhalsschnellkäfer steht für eine zwecklose Welt. Ich entdecke den Text seit Jahren jedes Mal, wenn ich aufräume, und jedes Mal überlege ich auch, ob ich ihn endlich wegwerfen sollte. Ich tu’s dann doch nicht, auch diesmal habe ich es nicht getan. Irgendwie reizt mich diese Wendung zwecklose Welt.
Warum? Wir leben in einer komplett verzweckten Welt, kaum jemand tut etwas um seiner selbst willen. Man treibt Sport, um fit zu bleiben, isst gesund, weil man alt werden möchte, verreist, um sich zu erholen. Warum tun wir all das nie, weil wir den Sport selbst genießen, das Essen und das Reisen auch?
Außerdem würde ich, wenn ich nicht schon Schriftsteller wäre, am liebsten Koleopterologe sein – Käferkundler also – und meine Tage mit Käferjagd und Käferbestimmung verbringen. Einfach nur so. Zwecklos. Da müsste man vielleicht auch nicht so viel aufräumen. Außer ein paar Käferbeinchen.
Na ja, das alles wäre mal eine Betrachtung wert. Eine Kolumne. Demnächst oder erst nach dem nächsten Aufräumen?
Ach, Kolumnenthemen brauche ich immer. The beat goes on.
Und Bücher schreiben muss ich ja auch noch. Im Regal mit meinen eigenen Werken (ich hebe pro Buch immer drei Exemplare auf) habe ich neben der Heiterkeit in schwierigen Zeiten schon Platz für das nächste Buch geschaffen, das aber erst im Spätsommer erscheinen wird.
Es ist einfach schön zu wissen, wo es einmal stehen wird.
Jetzt muss ich es nur noch schreiben.
Das konnte ich bisher nicht. Ich musste aufräumen.