Neulich abends hatte ich eine Besprechung samt Abendessen im Schumann’s, nach wie vor einer der Hauptschauplätze des Luxus und der Moden in München. Auf dem Heimweg durch die Stadt begegne ich vor einem der richtig guten Modegeschäfte in der Brienner Straße einer kleinen Frau mittleren Alters, also, sagen wir, Ende vierzig, nicht schlecht gekleidet in einen dunkelblauen Winteranorak, Strickmütze auf dem Kopf.

Sie kommt auf mich zu. Ob ich etwas Geld für sie hätte, für etwas Warmes zum Essen.

Normalerweise gebe ich Leuten, die mich so anreden, nichts. Das mag falsch sein, vielleicht ist es auch richtig. In München gibt es seit Langem organisierte Bettlerbanden, deren Angehörige das Geld abends irgendeinem Chef abliefern müssen, das führt zu nichts Gutem. Und einem Drogensüchtigen seine Sucht zu finanzieren davon halte ich auch nichts. Ich spende lieber Geld dorthin, wo ich weiß, dass es wirklich vernünftig verwendet wird.

Aber dieser Frau gebe ich auf der Stelle fünf Euro.

Seltsam, nicht wahr? Sie ist von der Kategorie her nicht schlechter angezogen als einige Freundinnen von mir. Morgen könnte ich sie als Ärztin in irgendeiner Praxis wieder treffen, als Lehrerin oder vielleicht evangelische Pastorin.

Irgendwie denke ich, wer so gekleidet um Geld bettelt, muss es wirklich nötig haben. Vielleicht ist es auch einfach eine Art von Identifikation: Wenn sie um Geld bettelt, vielleicht bin dann morgen ich es, der die Leute anquatschen muss.

Ich schaue ihr noch lange nach. Sie geht weiter durch die menschenleere Straße abends um elf, schaut in die Schaufenster. Warum geht sie nicht in die Fußgängerzone, wo auch um diese Zeit noch Leute sind, von denen man etwas bekäme? Nein, sie geht immer weiter, allein.