Leser N. schickte mir diesen Screenshot eines Inserats auf Immowelt.
Ich postete das auf meiner Facebook-Seite im Rahmen einer kleinen Rubrik, die Neues aus Sprachland heißt, und schrieb dazu, meines Wissens stehe die Kindergrippe in diesem Frühjahr aber in ganz Deutschland zur Verfügung, nicht bloß in Steinkirchen. Auf das schöne Wort Bankstelle ging ich nicht weiter ein, es war wohl eine Bankfiliale gemeint, aber man denkt natürlich auch an Tankstelle und stellt sich eine Geld-Zapfanlage vor, wo die Hunderter aus dem Hahn kommen. Oder eine Bank, bei der es auch Kekse, Chips, Weißbier und belegte Brote gibt. Darauf verfassten viele Leserinnen und Leser ihre Kommentare. Eine klagte: „Ich finde diese Beiträge immer sehr überheblich. Schon wie im Hohlspiegel. Billige Lacher, im Zweifel auf Kosten von Ausländern, die sich mit der deutschen Sprache rumschlagen. Oder Schülern, die das Abi nicht geschafft haben.“ Ich überlegte, ob ich der Leserin mit einem Zitat aus Wumbabas Vermächtnis antworten sollte:
Nun sind die Wenigsten, die einen Liedtext falsch verstehen, schwerhörig; meist liegt das Problem beim Sänger oder bei den Sprachkenntnissen, oft ist es auch nur so, dass man sich an den Text eines Liedes nicht mehr recht erinnert, es aber trotzdem singen möchte. Dann singt man aus der Erinnerung.Aber peinlich ist es den Meisten immer noch, etwas falsch verstanden zu haben. Es ist eine Fehlleistung, und Fehlleistungen sind in einer Leistungsgesellschaft unangenehm. Umso wunderbarer ist Wumbabas Existenz: eine Instanz, vor der man seinen Irrtum leichten Sinnes eingestehen kann. Sein Vermächtnis lautet: Wumbaba verurteilt nicht. Wumbaba lacht.Denn Wumbaba weiß: Was die Menschen am meisten eint, sind ihre Fehler. Und wenn Fehler so komisch oder so poetisch oder, im besten Fall, so poetisch-komisch sind wie hier, dann gibt es keinen Grund, über Fehler nicht zu reden. Im Gegenteil.
Habe ich aber nicht gemacht. Ich überlegte, wie es mit einem Zitat aus Oberst von Huhn bittet zu Tisch wäre, der Stelle nämlich, die kommt, nachdem ich einen Fund auf einer griechischen Speisekarte erläutert hatte. Dort gab es im deutschsprachigen Teil eine Speise namens Zwiebel ruft an. Im Englischen hieß sie onion rings.
Und damit wollen wir uns beschäftigen, mit den ganz und gar großartigen Veränderungen des Deutschen im Ausland und der besonderen Erscheinungsform, die unsere Sprache außerhalb des Landes und dort besonders an Tischen und in Küchen annimmt. Im Grunde auch: mit der Sprache in den Zeiten der Globalisierung.
Man macht einen sehr großen Fehler, wenn man nur das Falsche daran sieht. Denn in dem, was wir auf diesen Speisekarten lesen, offenbart sich uns das Deutsche auf eine ganz neue Weise, von jedem Sinn und allem Ballast irgendeiner Bedeutung befreit, als reiner Klang und voller Witz, ja, man hat das Gefühl, als fände das Deutsche erst außer-halb Deutschlands zu sich selbst, gelöst aus den Fesseln der Grammatik.
Habe ich auch nicht gemacht. Ich überlegte, ob ich aus dem Wortstoffhof zitieren sollte.
Sie sehen: Es geht hier um nichts anderes als um den Spaß am Valschen, die Poesie des Irrtuhms, die Freude an der Fehlleistunck – um einen Reichtum also, der erst durch menschliche Schwäche entsteht. Von welchem anderen Reichtum könnte man dies behaupten? …Wir haben es, ganz klar, mit einer Ausformung deutscher Sprachleidenschaft zu tun, die ich besonders erfreulich finde, weil sie sich nicht in Besserwisserei und den anderswo beliebten Falsch-Richtig-Kategorien äußert. Sprachkritik sollte ja, finde ich, nicht darin bestehen, sich über die lustig zu machen, die es nicht besser können. Sondern sie hat sich, wenn schon, die vorzunehmen, die es nicht besser wollen, die also Sprache als Imponierinstrument oder zur Verschleierung ihrer wahren Absichten benutzen. Oder die einfach zu faul sind, das Richtige zu sagen.Und, um auch dies gleich mal zu sagen: Ich halte nicht viel von denen, die das Deutsche „pflegen“ wollen, als sei es ein Patient. Oder die nach aussterbenden Wörtern suchen, als wäre die Sprache ein bedrohtes Ökosystem, und die den Verlust des Wortes „Backfisch“ dem Aussterben des Kabeljaus gleichsetzen. In Wahrheit stehen bei uns, wenn ein Wort ausstirbt, doch gleich zwei neue an der nächsten Straßenecke und noch im letzten Ich-mach-dich-Messer-Dialog zweier Neuköllner Türkenjungs steckt mehr von der Kraft des Deutschen als in den Teilnehmern betulicher Sprachhütertagungen. Wir vom Wortstoffhofversuchen Tag für Tag, in neue Sprachdimensionen vorzudringen. Und fragen uns, wie sehr eine Sprache gerade durch das Falsche bereichert wird.
Habe ich aber auch gelassen. Ich überlegte: Soll ich einfach schreiben, ob sie, die Leserin, denn nicht einmal, ein einziges Mal nur über diese ganzen ewigen Kränkungsängste und Verletzungsphobien und Erniedrigungsphantasien hinwegsehen und sich einfach dem Spiel mit und dem Spaß an der Sprache überlassen könne!? Denn wenn ich mich wirklich nur über den erheben wollte, der Kindergrippe geschrieben hat, dann hätte ich doch wohl auch bemängelt, dass es stehen statt steht hätte heißen müssen und auch nicht Pizzaria. Aber das sei eben nicht witzig. Witzig sei nur Kindergrippe. Habe ich auch unterlassen. Kaum war ich mit Grübeln fertig, schrieb eine andere Leserin auf Facebook an die oben Zitierte: „Ich persönlich lache nicht über den, der den Fehler gemacht hat (ich weiß ja nicht mal, wer das ist), sondern über den Fehler an sich, der nun mal zu sehr lustigen Assoziationen führt. Deshalb finde ich es ganz und gar nicht überheblich (sagt ja auch niemand, dass man es selbst bestimmt besser gemacht hätte) und absolut nicht auf Kosten von irgendjemandem.“
Man muss nur warten können, dann tun die Leserinnen und Leser alles selbst.