Kent Haruf habe ich spät entdeckt, durch einen Literaturtipp vor zwei, drei Jahren irgendwo, von Matthias Brandt, glaube ich. Er empfahl Unsere Seelen bei Nacht, das auch mit Robert Redford und Jane Fonda verfilmt wurde. Es war der Hammer, ich fraß den kleinen Roman in drei Tagen. Danach kam Ein Sohn der Stadt. Als ich den zugeklappt hatte, beschloss ich, nun alles von Haruf zu lesen. Das ist nicht so schwer, er hat nur sechs oder sieben Romane geschrieben, 2014 ist er gestorben, leider schon mit 71.

Und jetzt bin ich beim letzten angekommen, glaube ich jedenfalls.

Jetzt habe ich Das Band, das uns hält abgeschlossen.

Alle Bücher Harufs spielen in einer Kleinstadt in Colorado. Sie heißt Holt, und es gibt sie nur in Harufs Geschichten. Der Ort ist fiktiv, und das Personal seiner Bücher hat, soweit ich das sehe, manchmal Überschneidungen, manchmal nicht. Die Gemeinsamkeit aller Bücher ist diese kleine, unbedeutende, nichtssagende und doch eigenartige und schöne kleine Stadt irgendwo in der Weite der Great Plains – und vor allem das einfache, schwierige, manchmal schöne, fast immer scheiternde und doch hoffnungsvolle Leben der Leute dort.

Auch Das Band, das uns hält hat den großartigen Sog, der von allen Romanen Harufs ausgeht. Man will immer weiter und freut sich auf jede Stunde des Lesens. Hier geht es um das Leben der 80jährigen Edith Goodnough und um die Existenz der Menschen um sie herum, ihres fürchterlichen tyrannischen Vaters Roy zum Beispiel, den Bruder Lyman und um die Nachbarfamilie Roscoe, deren Sohn Sanders Roscoe der Erzähler ist. Sie alle leben auf einsamen Höfen ein paar Meilen von Holt entfernt. 

Über jede dieser Existenzen bricht, wie in alle Büchern des Autors, eine Tragödie herein, mit der die Leute fertigwerden müssen – und dieses Ringen schildert Haruf in seiner dichten, farbigen, unspektakulären, plastischen Sprache, der man nicht auskommt und selbstverständlich auch nicht auskommen will, warum denn? Jedes seiner Bücher entfaltet einen unwiderstehlichen Sog. Ich wollte schon nach wenigen Seiten nie mehr weg aus Holt, wollte nur noch diese Geschichten lesen, nichts sonst. Haruf konnte erzählen - oh, wie er das konnte! - voller Zartgefühl und Zuneigung für die Leute, voller Hoffnung trotz aller Desaster, den Blick immer auf die Würde jedes Einzelnen und den Gemeinsinn der Meisten gerichtet. Wer in dieser Zeit an den Umständen und den Menschen zu verzweifeln droht, muss Haruf lesen und zwar alles von ihm. 

Kent Haruf, Das Band, das uns hält, aus dem amerikanischen Englisch von pociao und Robert de Hollanda, Diogenes, 25 Euro