Schon seit Längerem habe ich nämlich neben meinem Bett immer einen Band mit Lyrik liegen. Lies jeden Abend ein Gedicht!, so lautet das Gesetz, und leicht ist es einzuhalten.
Im Moment ganz oben auf dem Lyrik-Posten: Mascha Kaléko.
Ich besitze zwei Bände mit Gedichten von ihr, den einen schon länger, den anderen erst seit einigen Wochen. Der erste ist ein prachtvolles Buch, ausgestattet mit Zeichnungen des famosen Hans Ticha, der eine der schönsten Buchausgaben schuf, die ich überhaupt kenne, Karel Čapeks Der Krieg mit den Molchen, eine Science-Fiction-Satire aus dem Jahr 1936, in der FAZ einmal hoch gelobt als „eines der schönsten Bücher der deutschen Buchgeschichte“.
Der zweite ist im vergangenen Jahr herausgekommen, auf sehr gutem Papier und mit einem Leinen-Einband, dazu ein Vorwort von Daniel Kehlmann. Er beschreibt (und man kann das auch im Buch einigen quasi autobiographischen Prosa-Texten der Autorin selbst entnehmen), wie Mascha Kalékos Ruhm mit ihren zwischen Ironie und Traurigkeit changierenden Texten neben denen von Ringelnatz, Tucholsky, Kästner wuchs – bis sie 1938 mit Mann und Kind emigrieren musste, nach New York zunächst, später nach Jerusalem.
Sie war populär, ihre Gedichte leicht, klar, schnoddrig, voller Melancholie und großstädtischem Witz.
Aber nie konnte sie nach dem Krieg in das Glück ihrer Berliner Jahre zurückfinden, auch von der Literatur-Szene wurde sie mit Fleiß ignoriert. In seinem Nachruf auf sie schrieb Horst Krüger 1975 in der FAZ: „Natürlich gehört ein solches Leben: wie es aufbrach, kurze Zeit blühte, sich ducken mußte und dann über Jahrzehnte eigentümlich verrann in lauter freundlichen Verlegenheiten, zu den Spätfolgen des deutschen Faschismus. Es ist ein jüdisches Schicksal zu beklagen – was denn sonst?“
Seit einer ganzen Weile schon aber wird sie wieder gelesen, erscheinen Neuausgaben, ist sie präsent. Es wird nie so sein, wie es hätte sein können, das haben die Nazis auf dem Gewissen.
Aber wir können sie lesen, jeden Tag und jeden Abend.
Auch ich bin ein „ein deutscher Dichter,
Bekannt im deutschen Land“,
Und nennt man die zweitbesten Namen,
So wird auch der meine genannt.
Auch meine Lieder, sie waren einst
Im Munde des Volkes lebendig.
Doch wurden das Lied und der Sänger verbannt.
– Warn beide nicht „bodenständig“.
Ich sang einst im preußischen Dichterwald,
Abteilung für Großstadtlerchen.
Es war einmal. – Ja, so beginnt
Wohl manches Kindermärchen.
Mascha Kaléko (Aus dem Gedicht: Deutschland, ein Kindermärchen, geschrieben auf einer Deutschlandreise im Heine-Jahr 1956)
Mascha Kaléko, Ich tat die Augen auf und sah das Helle. Gedichte und Prosa. dtv. 256 Seiten, 20 Euro.
Mascha Kaléko, Bewölkt, mit leichten Niederschlägen. Gesammelte Gedichte. Mit Zeichnungen von Hans Ticha. Büchergilde Gutenberg, 32 Euro.