Neulich klingelte es an der Tür. Ich nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab und jemand sagte: „I bins, der Postbote, tschuidigen S‘, aba mi ham grad koan Schlüssel ned, kannt S‘ bittschön aufmacha.“
Das tat ich und sagte zu meiner Frau, wie schön es sei, von einem Boten zur Abwechslung mal den heimischen Dialekt zu hören, nicht nur ein paar Brocken Deutsch oder Englisch wie einen Tag später, als ein sympathischer junger Mann vor der Tür stand und in besserem Englisch, als ich es kann, zu mir sprach.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin sicher, ohne die vielen Zugewanderten würde erstens unsere Post- und Paketzustellung zusammenbrechen, zweitens weite Bereiche der Gastronomie und drittens – das ist vermutlich am wichtigsten – unser Gesundheitswesen. Es ist ja interessant, dass – kaum war Assad in Syrien gestürzt – einige Politiker gar nicht schnell genug mit der Aufforderung bei der Hand sein konnten, nun sollten aber auch möglichst viele Syrer möglichst schnell heimkehren. Während Fachleute rasch darauf aufmerksam machten, dass gerade Syrer sich hier bemerkenswert schnell integriert hätten und niemand wüsste, wie man die gesundheitliche Versorgung ohne sie als Ärztinnen und Pflegekräfte hier vernünftig aufrechterhalten könnte.
Aber ich kann auch verstehen, dass vielleicht manche älteren Leute in meinem Viertel es bisweilen schwierig finden, sich hier noch heimisch zu fühlen, wenn an ihrer Haustür kaum noch jemand in ihrer Muttersprache mit ihnen reden kann und auf der Straße Englisch häufiger zu hören ist als Deutsch.
Und wiederum andererseits bewundere ich die Leute, die in einem fremden Land ihr Geld verdienen müssen, ohne etwas zu verstehen und sich verständlich machen zu können. Es muss ungeheuer anstrengend sein und viel Mut erfordern, gerade auf Behörden, bei denen man ja schon als deutscher Steuerzahler nach wie vor oft eher wie ein Untergebener behandelt wird.
Neulich las ich im Zürcher Schauspielhaus und dann auf dem berühmten Humorfestival in Arosa, und ich stellte fest, dass man auch in der Schweiz in manchen Cafés besser mit englischen Vokabeln bestellt als mit deutschen. In einem meiner Hotels funktionierte die Heizung nicht so recht, eine junge Dame traf ein, um das zu reparieren, und sie sprach mit uns in größter Selbstverständlichkeit in einem Mischmasch aus Schwyzerdütsch, Albanisch und Englisch, alle drei Wörter schien sie die Sprache zu wechseln. Wir verstanden nichts, sie selbst vielleicht auch nicht. Aber es war nett.
An solchen Tagen liebe ich Europa besonders, diese Selbstverständlichkeit der Vielfalt. Es geht ja auch in meiner eigenen Familie an manchen Tagen hin und her zwischen Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch, es ist großartig. Meine jüngste Tochter, die ständig Deutsch und Englisch souverän mischt, benutzte neulich mitten in einem deutschen Satz das Wort quirky, und als ich fragte, was das auf Deutsch heiße, antwortete sie: weird.
Also, es heißt komisch, drollig, sonderbar.
Ich erinnerte mich an eine, nun ja, Mail von Leserin S., die mir über ihre Erlebnisse in der Wäscheabteilung eines großen Kaufhauses berichtete. Sie habe dort eine Verkäuferin gefragt, wo sie hier einen Neckholder-BH bekommen könne. (Den wollte sie unter einem Neckholder-Top tragen, früher hieß das „rückenfreies Oberteil“). Die Verkäuferin habe ihrer zehn Meter entfernten Kollegin zugerufen: „Du, Inge, wo haben wir unsere Snackholder-BHs?“
Am Tag nach der Zürcher Lesung saßen meine Frau und ich im berühmten Café Odeon, tranken etwas und aßen eine Kleinigkeit. Als wir bezahlten, erkundigte sich die Kellnerin auf Schwyzerdütsch: Isch’s fein gsi? Ich verstand nur Schweinzi, fragte nach, hörte wieder Schweinzi und dann aber erklärte es mir die Dame auf Hochdeutsch: ob es gut gewesen sei, habe sie gefragt: Ist es fein gewesen?
Ja, sagte ich, und das stimmte ja auch.
PS: Dann ist da noch die Mail von Herrn P., der an den Rolltreppen der Münchener U-Bahn das schöne Wort Stufenabsackkontakt entdeckte und mir schickte. Es ist mit Sicherheit Deutsch, aber weder er noch ich wussten, was es bedeutet.
Und doch: Ist es nicht von faszinierender Schönheit?