Eine Leserin fragt: „Was empfinden Sie, wenn ein neues Buch von Ihnen erscheint (wie jetzt Im Bann des Eichelhechts und andere Geschichten aus Sprachland)? Ist es Freude, Euphorie, Zweifel, Furcht vor der Öffentlichkeit, der man sich aussetzt? Was ist da los in Ihnen?“

Ich sage: Ich habe Angst, dass ein Fehler drin ist.

Es gibt kein Buch ohne Fehler. Es gibt ja auch keine fehlerlose Zeitung. Legendär ist die Meldung einer Berliner Zeitung aus den Zeiten des Kaiserreiches. Sie handelte vom Kronprinzen und begann mit den Worten: „Der Kornprinz hat geruht …“ Am nächsten Tag brachte man eine Richtigstellung, sie lautete so: „In Folge eines bedauerlichen Druckfehlers hieß es gestern in unserem Blatt, der Kornprinz habe geruht … – es sollte natürlich heißen, der Knorrprinz habe geruht …“ Das war wieder sehr unangenehm, weshalb die Redaktion sich zu einer weiteren Korrekturmeldung entschloss. Sie lautete: „Der Kronprinz hat gehurt …“

Auf weitere Berichtigungsversuche wurde dann verzichtet.

Ob die Geschichte wirklich wahr ist? Ich verbürge mich nicht dafür.

Vor zwei Jahren schrieb mir Herr N. aus Österreich, er habe Wofür stehst Du? von Giovanni di Lorenzo und mir geschenkt bekommen. Es habe ihm sehr gefallen. Nur eine Kleinigkeit habe er anzumerken: Auf Seite 182 werde ein österreichischer Ski-Rennläufer namens Hans Klammer erwähnt. Den kenne er nicht, obwohl er selbst Österreicher sei und sich schon deswegen sehr für den Skisport interessiere. Wer das denn sei?

Hans Klammer. Natürlich war Franz Klammer aus Mooswald in Kärnten gemeint, Olympiasieger 1976, fünfmal Gewinner des Abfahrts-Weltcups und mit 25 Rennsiegen in dieser Disziplin bis heute der erfolgreichste Abfahrtsrennläufer der Geschichte.

Herr N. schrieb mir im Januar 2019. Das Buch war 2010 erschienen. Fast zehn Jahre lang hatte der Fehler unbemerkt im Buch gestanden, das ist auch eine Art Rekord. Das heißt: Wahrscheinlich haben schon etliche Menschen den Fehler bemerkt. Aber Herr N. war der erste, der mir deswegen schrieb. Wie, zum Teufel, mag der Fauxpas überhaupt ins Buch gekommen sein! Ich war in den achtziger Jahren vier Jahre lang der für alpinen Skilauf zuständige Sportreporter der Süddeutschen Zeitung. Ich weiß, dass Franz Klammer Franz heißt. Ich sah ihn fahren. Ich habe ihn interviewt. Franz, Franz, Franz.

Mein Verlag und ich  tun viel, um Fehler zu vermeiden. Viele Menschen lesen das Manuskript vor dem Erscheinen zu diesem Zweck: ich selbst natürlich wieder und wieder, meine Verlegerin (auch sie mehrere Male), dazu einige andere Leute im Verlag. Eine Schlussredakteurin prüft dann alle Fakten, ein Korrektor die Grammatik. Mehr kann man eigentlich nicht tun.

Und doch, und doch …

In praktisch jedem meiner Bücher haben wir nach Erscheinen noch Fehler entdeckt, in den Regel sehr kleine, aber eben doch Fehler, fast nie mehr als einen. Ein das, wo ein dass hätte stehen müssen. Ein sie, wo es doch Sie hätte lauten sollen. Solche Sachen. Das ist nicht schlimm, aber da ich einen Hang zum Perfektionismus habe, wurmt es mich. Wobei: Das neue Buch hat den Fehler zum Gegenstand, es geht darin ausschließlich um Fehler, ja, es wird das Positive am Fehler beschrieben, das Phantasievolle, die Vorstellungskraft bewegende. Es wird mit seiner Hilfe immer wieder der  Weg in die heitere und schöne Welt Sprachlands gesucht, wo die Tieftrinen blühen und der Aschenpudel dem Tinderfisch gute Nacht sagt.

Andererseits kann Freude über das Falsche nur aufkommen, wenn man das Richtige kennt, nicht wahr? Und drum muss auch in diesem Buch das, was richtig sein soll, auch wirklich korrekt sein. Sonst erreicht mich Post wie die von Herr N., Hans Klammer betreffend, irgendwann, vielleicht sehr spät, meistens aber sofort.

Zum Beispiel kam im ersten Exemplar dieses Rundbriefes vor einigen Wochen das Wort Reflexion vor. Ich hatte es aber Reflektion geschrieben, was ein gebräuchlicher Fehler ist, doch eben ein Fehler, auf den mich Leserin R. aufmerksam machte.

Sie schickte dann noch ein schönes Bild aus Ihrer Lokalzeitung mit, das einen Pfluck bei der Arbeit zeigt.

Was ein Pfluck ist? Sie sehen es weiter unten.

Was ich sagen wollte: Der oder die Erste, die mir einen wirklich und ganz offensichtlich ungewollten Druckfehler in meinem neuen Buch nachweist, bekommt zur Belohnung ein Exemplar dieses Buchs als Geschenk zugeschickt, signiert und mit meiner handschriftlichen Korrektur genau dieses Fehlers. (Also, bitte, nicht alle, die einen Fehler finden, bekommen ein Buch, sondern nur der oder die mit der ersten bei mir eintreffenden und zutreffenden Post, die am besten einfach als Antwort auf diese Mail kommen sollte.)

Um das klarzustellen: Wir haben keinen Fehler im Buch versteckt, damit ihn nun jemand findet. Vielleicht gibt es also auch gar keinen. Oder halt nur genau jene ungeheuer vielen falschen Sachen, um die es eben geht, weil sie Gegenstand des Buches sind.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Für mich ist das Erscheinen eines Buches eine Zwischenstation auf einer ziemlich langen Gefühlsreise, die mit der zaghaften Freude über eine neue Idee beginnt und weitergeht über die schiere Verzweiflung angesichts des Bergs von Arbeit, das Entsetzen angesichts der Möglichkeit des Scheiterns, das Vergnügen am Schreiben, das Zittern bei der Abgabe des Manuskripts, die Begeisterung, wenn es Gefallen gefunden hat, die blanke Panik, wenn das Buch in Druck geht und ich damit endgültig die Kontrolle über den Inhalt abgegeben habe. Und am Ende auch den Stolz, wenn es ein schönes, schönes Buch geworden ist, das in den Buchhandlungen liegt und auf Leserinnen wartet. Und auf Leser. Das ist dann doch immer ein schöner Tag.

Und so ein Tag ist heute.