Herr S. aus Ahnatal schreibt, er habe das Buch über Sprachland und den Eichelhecht gelesen, und fügt den Satz an: „Es ist zwar etwas unfair, sich über jemanden lustig zu machen, der sich die Mühe gibt, etwas in eine ihm fremde Sprache zu übersetzen, aber ich musste doch immer wieder schmunzeln.“

Dieses „etwas unfair“ beschäftigt mich. Denn unfair möchte ich nicht sein, auch nicht etwas unfair. Aber lustig mache ich mich schon – bloß: worüber eigentlich genau??

Frau K. aus Rosenheim erzählt in einer Mail, ihre inzwischen zwanzig Jahre alte Tochter habe einst als Schulanfängerin auf die Frage nach ihrem Lieblingsessen Fischdeppchen in ein Album geschrieben. K. fügt an: „Und tatsächlich, manchmal sahen meine Fischstäbchen nach dem Braten nicht mehr so geometrisch korrekt aus, vielleicht lagen dort wirklich manchmal kleine krumme Deppchen in der Pfanne.“

Machen wir uns über K.s Tochter lustig, wenn wir darüber lachen? Nein, wir freuen uns über das lustige und vielleicht sogar treffende neue Wort, das so überraschend aus dem Nichts aufgetaucht ist und vielleicht bleiben wird. Ich jedenfalls werde, sollte ich demnächst mal Fischstäbchen zubereiten, todsicher diese Fischdeppchen im Kopf haben. Ich kriege ja auch dieses Missverständnis nicht mehr aus dem Kopf, von dem mir Frau S. berichtet. Sie hatte im Fernsehen eine alte Dame nach deren Impfung sagen hören, sie freue sich so, endlich ihre 8-Uhr-Enkel wieder in die Arme schließen zu können. S. kapierte erst mit Verzögerung, dass es sich nicht um Enkel handelte, die vor der Pandemie jeden Abend um acht der Oma ihre Aufwartung machten. Sondern eben um acht Urenkel. (Die bestimmt alle Fischdeppchen lieben.)

Seit meinen Wumbaba-Büchern beschäftigen mich diese Fehlleistungen. Und mir scheint in diesen Zeiten der politischen Korrektheit und der überall grassierenden Angst, irgendetwas sprachlich falsch zu machen, der Gedanke ein bisschen in Vergessenheit zu geraten, dass es nicht nur ein höhnisches Lachen gibt, sondern vor allem ein liebevolles, freundliches. Und dass dieses Lachen auch nicht dem gilt, der etwas falsch gemacht hat, sondern dem Resultat. Dem lustigen, absurden, schönen, die Phantasie anregenden, die Sprache bereichernden Wort.

Das zum einen.

Zum anderen geht es ja eben gar nicht um das Fehlerhafte, sondern um das Schöpferische. Mich interessiert an der Sprache nie so sehr das Regelhafte, Gesetzmäßige, Korrekte. Ich bin natürlich der Meinung, dass Kommata richtig gesetzt werden sollten und man die Rechtschreibung beherrschen muss. Aber Korinthenkackerei geht mir seit eh und je auf die Nerven, und für grammatische Feinheiten kann ich mich nur mühsam interessieren.

Mich freut an der Sprache das Lebendige, die Veränderung, nicht das Statische, das Beharren.

Wenn wir eine Sprache neu lernen, sind wir alle Kinder. Die Tochter meines Lesers P. fügte vor Jahren im Skiurlaub der Tierwelt Sprachlands (bekannt und erforscht sind bisher unter anderem Eichelhecht, Aschenpudel, Tinderfisch, Pumerang und Meiskolbe) den Kaiserschwan hinzu. Im Restaurant wünschte sie sich nämlich „Königsente“ zum Essen, was zunächst rätselhaft war und sich erst klärte, als den Erwachsenen dämmerte: Die Kleine hatte den Kaiserschmarrn als Kaiserschwan missverstanden, sich diesen aber auch nicht richtig gemerkt. So war in ihrem Kopf die Königsente entstanden, die man sich wiederum auch in einem chinesischen Restaurant vorstellen könnte.

Dort übrigens entstehen oft die wunderbarsten neuen Wörter. Frau F. schickte mir einen Aushang im Fenster eines Schnellimbisses namens Kung Fu Express: Dort wurde kurz und bündig Geclosch verkündet, offensichtlich eine Kreuzung von Geschlossen und Closed. Als ich das auf Facebook zeigte, erreichte mich jede Menge neuer asiatodeutscher Begriffe, Katzebong für Kassenbon zum Beispiel oder Fumf Eule mit Leis als Antwort auf die Frage, was ein Gericht koste.

Noch besser fand ich aber, was sich aus einer Speisekarte ergab, die mir Herr B. aus Konstanz zukommen ließ. Dort gab es in den achtziger Jahren das italienische Restaurant Europa, dessen Karte B. glücklicherweise aufgehoben hat. Das Wort Ketchup hatte dort schon im Italienischen eine wundersame Wandlung durchgemacht. Zu den Rippchen, den Costicine, gab es nämlich Checmp. Auf deutsch hieß das Gericht dann Ripehen mit Kechtchemp. Jemand schrieb dazu, vielleicht wäre auch Senft eine Alternative gewesen, so nenne man im Fränkischen den Senf. Worauf eine Dame, die in Franken zu wohnen behauptete, mitteilte, es heiße dort aber Sempft. Worauf wiederum echte Franken protestierten, selbstverständlich laute das Wort – da kein Franke jemals harte Konsonanten aussprechen werde – Sembfd.

Sehen Sie, sowas macht mir Freude. Im Chiemgau ist mir mal ein Bauernbub begegnet, der freudestrahlend verkündete, heute Abend werde seine Familie mit ihm das Abendessen bei Meckdongelz einnehmen. Ich habe seitdem nie wieder McDonalds gesagt.

Herr G. fragt mich, warum in seiner Gegend das Wort Gelatine immer zu Gelantine werde. Woher dieses n komme?! Ich antworte, sprachwissenschaftlich gesehen handele es sich meines Wissens um eine Epenthese, ein Fugenelement, mit dessen Hilfe sich das Wort leichter spreche. (Kinder sagen deswegen oft nicht Luise, sondern Lulise.) Mein lieber alter Freund und Kollege Hermann Unterstöger, wohnhaft in Altötting, erklärt dazu, er habe mal einen gekannt, der in der Holledau lebte und nie im Leben in der Lage war, das Wort Motor auszusprechen. In seinem Mund wurde es immer zu Mondor, und der Beton war stets der Bendon.

Ach, es gäbe noch viel zu sagen, auch dass hier in München Menschen leben, die niemals das Wort Orange als oˈʁaŋʒə aussprechen werden, sondern immer als Orahsche.

Nein, unfair ist es nicht, darüber zu lächeln. Es geht nicht anders, glaube ich. Wir sind doch letztlich selbst alle kleine Fischdeppchen.