Manchmal bekomme ich Leserpost, die mich zu Tränen rührt.
Ich erinnere mich an die Mail eines Mannes, der mit seiner Frau eine Fernbeziehung führen muss, über viele hundert Kilometer. Jeden Abend lese er ihr eine Geschichte aus einem meiner Bücher vor, schrieb er mir. Das sei ein Ritual, das seit langer Zeit zu ihrem Leben gehöre.
Ein anderer schrieb vor kurzem, er leide seit einem Jahr an einer unheilbaren Krankheit, meine Kolumnen seien da immer ein Höhepunkt der Woche – und nun, das es zu Ende gehe, wolle er sich einmal für all die Texte in so vielen Jahren bedanken. Er hoffe, dass er noch möglichst viele davon zu lesen bekomme.
Mir ist in dieser Pandemiezeit bewusst geworden, wie sehr das, was Leute wie ich tun, auch mit der Verbundenheit von Menschen untereinander zu tun hat. Kolumnen und Bücher schaffen genauso wie Bilder, Musik, Tanz immer eine Gemeinschaft von Menschen, die etwas von sich in der Kunst wiederfinden, sich darüber austauschen und so in ein Gespräch kommen. Die spüren, dass sie nicht alleine sind.
Ich bekam vor kurzem von meinem Sohn ein Buch von Kae Tempest geschenkt, Verbundensein heißt es, ich kann es nur empfehlen. Es geht darin unter anderem um das Empfinden von Menschen, die auf einer Bühne stehen oder davor sitzen, um den lebendigen Kontakt, der zwischen ihnen entsteht und der nicht durch Online-Auftritte zu ersetzen ist. Denn die Bildschirmscheibe hat vielleicht schon etwas notdürftig Verbindendes. Aber sie trennt eben auch, das ist nicht zu leugnen. Ich habe mich selten so einsam gefühlt, wie bei meinen Online-Lesungen in der Pandemie-Zeit: allein mit zwei Technikern vor vier Kameras in einem leeren Theater. Wo sonst gelacht wird: Stille. Wo sonst Beifall kommt: nichts. Irgendwann wollte ich einfach nur noch, dass es vorbei ist.
In Zeiten, in denen ich achtzig oder neunzig Lesungen pro Jahr hatte, habe ich oft geschimpft über die vielen Reisen, über verlorene Zeit auf Bahnhöfen und im Stau, in Garderoben und in hässlichen Hotelzimmern. Aber ich habe immer gerne auf einer Bühne gesessen und vorgelesen, weil es ein Vergnügen ist, zu spüren, wie Geschichten auf Leserinnen und Leser wirken. Wie die Menschen nicht nur lachen, sondern manchmal auch einfach nur sehr still zuhören. Das ist eine Stille, die sich in ihrer Intensität auch dem auf der Bühne mitteilt. Tempest schreibt: „Wenn die Verbindung hergestellt wird, ist alles miteinander verknüpft und bewegt sich auf einen Moment der gemeinsamen Empfindung zu, einer kreativen Verbindung, die den gesamten Saal an eine geeinte Gegenwart bindet.“
Das Internet hat unbegreiflich große Vorteile. Ich bekomme pro Tag sicher zehn oder mehr Mails von Leserinnen und Lesern. Ich beantworte sie alle, nicht nur, weil ich es unhöflich fände, es nicht zu tun, sondern weil mir an dieser Art von Kontakt sehr gelegen ist. Früher wäre das anders gewesen, niemals hätte es so viele Briefe oder Postkarten gegeben. Ich profitiere sehr davon, denn einige meiner Bücher (von den Wumbaba-Bänden über Oberst von Huhn und den Wortstoffhof bis zum neuesten, Im Bann des Eichelhechts und anderen Geschichten aus Sprachland) wären ohne die Ideen und Anekdoten, die Verhörer und Speisekarten, die Fotos und Geschichten nicht möglich gewesen.
Und es ist für einen Autor eine unschätzbare Stütze, wenn ihm jemand schreibt (wie zum Beispiel dieser Tage Herr B.): „In meiner Bibliothek stehen ziemlich viele Bücher, natürlich auch einige, die einem ein Lächeln entlocken. Aber ich habe noch nie etwas derart Amüsantes gelesen wie ‚Im Bann des Eichelhechts‘ – und ich lese wirklich eine Menge. Ich liebe dieses Buch und Sprachland!!!“
Ich gehe danach mit doppelter Freude an die Arbeit, glauben Sie mir! Und ich werde natürlich auch künftig immer mal wieder klagen über die Beschwerlichkeiten von Lesereisen. Andererseits weiß ich jetzt aus der Erfahrung eines langen Jahres heraus, wie sehr sie mir gefehlt haben: die Abende auf der Bühne, zu denen man nun mal irgendwie hinkommen muss.
Wir sehen uns, bis bald!