Im Mai habe ich mein Büro für eine Weile mal wieder nach Italien verlegt. Alle Kinder haben jetzt die Schule verlassen, wir sind unabhängig, und die Segnungen des Internets erlauben mir, meinen Arbeitsplatz zu haben, wo ich ihn haben will.

Ich stehe also morgens früh auf, trinke einen Kaffee in der ganz bestimmten Bar, die ich in Ein Haus für viele Sommer beschrieben habe, esse dort etwas Ungesundes und setze mich dann an den Küchentisch unseres alten Turms.

In den vergangenen Wochen habe ich dem Manuskript für mein nächstes Buch, das am 17. September erscheinen wird, zu geben versucht, was man den letzten Schliff nennen würde, wenn man solche Floskeln gerne hätte. In der kommenden Woche muss ich mich vom Text verabschieden. Er geht dann in den Verlag, und irgendwann kann ich nichts mehr daran tun. Das ist immer ein heikler Moment, wenn man die Kontrolle über das Geschriebene abgibt und es sozusagen in die Welt entlässt, aber das ist ja auch nur wieder eine Floskel.

Mich macht es unruhig, aber was soll ich tun? Es muss ja nun mal sein.

Mehr dazu im nächsten Brief aus dem Büro.

Nachmittags bin ich draußen. Ich bin nicht so gerne am Strand wie andere, also halte ich mich oft auf unserem terreno abseits des Dorfes auf, kümmere mich um die Oliven, repariere irgendetwas oder schaue einfach aufs Meer hinaus. Wobei mich in den Tagen hier eine Bronchitis ausbremste: Ich solle mich um Gottes willen nicht anstrengen, hat mich ein Nachbar, der Medizinprofessor ist, ermahnt, und ich müsse den kalten Wind meiden. Also hockte ich meistens im Windschatten irgendwo und hustete ein bisschen vor mich hin.

Übrigens erinnert mich diese Geschichte an eine andere. Ein Freund, der hier lebt, hatte eines Tages irgendein urologisches Problem, das ihn auch veranlasste, den Professor zu rufen. Der kam und traf vor der Tür eine Freundin des Freundes. Die beiden kam ins Gespräch, irgendwie landete man beim Thema Bridge. Was, Sie spielen Bridge?! riefen beide gleichzeitig, und seitdem gibt es im Dorf eine regelmäßige Bridge-Runde, die nicht existieren würde, hätte mein Freund damals kein urologisches Problem gehabt.

Wenn es irgend geht, stapfte ich aber trotz Husten zwischen den Olivenbäumen herum. Sie blühen jetzt und ich hoffe, unser Öl wird heuer besser als im letzten Jahr. 2023 war sehr trocken, viele Oliven verdorrten regelrecht an den Bäumen, und weil etliche von ihnen trotzdem in der Ölmühle landeten, war der Geschmack des Öls nicht so gut, wie er sonst ist. Wir benutzen es immer noch in der Küche, aber ansonsten mussten wir zum ersten Mal seit Jahren auch wieder Öl kaufen. Das macht aber nichts, abgesehen von den Kosten. Es gibt – abseits der meisten Supermärkte – so großartige Olivenöle kleiner privater Erzeuger, dass ich viel Freude daran habe, sie zu probieren.

In diesem Jahr hat mich ein Freund besucht, der sich tausend Mal besser als ich mit Pflanzen, Insekten und anderen Tieren auskennt als ich. Wir sind zusammen im Garten herumgewandert, in dem jetzt vieles grünt und blüht, ganz anders als im Sommer, wo das Gras gelb wird und verdorrt: Ginster, Mohn, Disteln, hübsche rosa Winden und auch eine Orchideenart, der Herzförmige Zungenstendel (o, wie ich diese Namen liebe!).

Schon im vergangenen Jahr waren mir Pflanzen aufgefallen, die mir nicht recht gefielen, aber das lag daran, dass ich bisher nie zu ihrer Blütezeit da war. Jetzt blühen sie weiß, überall und in großen Sträuchern und Mengen. Andere haben lila Blüten, an allen aber sieht man den weißen Schaum, der mit schon im letzten Jahr aufgefallen war. Ich dachte immer, er gehöre zur Pflanze, sie produziere ihn aus irgendwelchen Gründen. Wenn man diese Blumen anstupste, hüpfte oft aus dem Schaum etwas heraus, von dem ich dachte, es sei vielleicht ihr Samen.

Alles Quatsch.

Mein Freund erklärte mir, bei den Blumen handele es sich um Zistrosen. Das ist ein seltsames Wort, weil man denkt, es sei also ein Rosenart (was es nicht ist). Oder man glaubt, spricht man das Wort anders aus –  wie Nekrose zum Beispiel –, es handele sich um etwas ausgesprochen Unschönes. Was auch nicht stimmt.

Die Blumen sind nämlich sehr hübsch. Unsere beiden Zistrosenarten sind die Montpellier-Zistrose (weiß) und die Kretische Zistrose (lila). Sie blühen schön, werden von Hummeln, Käfern und Bienen gerne besucht und von Naturheilkundlern als Heilpflanzen außerordentlich geschätzt. Man behandelt alles Mögliche mit ihnen, von Durchfall über Hautproblemen bis zu grippalen Infekten. Wenn es also mit den Büchern und Kolumnen mal nicht mehr so läuft, steige ich vielleicht auf die Produktion von Naturheilmitteln um, wer weiß.

Aber noch mal zu dem Schaum: Er stammt von der Schaumzikade, in Deutschland kennt man das weiße Zeug auch als Kuckucksspucke. Der Schaum entsteht, weil die Larven der Zikaden an den Pflanzen saugen und den Saft als Wasser wieder ausscheide, das dabei durch Proteine und Luft aufgeschäumt wird – und gleichzeitig bietet er Schutz vor Feinden. Und was ich da hüpfen gesehen hatte, waren wohl die Tiere selbst. Schaumzikaden sind nur fünf bis sieben Millimeter lang, springen aber 70 Zentimeter hoch. Kein Tier springt relativ zur Körpergröße so hoch, ein Mensch müsste 200 Meter hoch hüpfen, um gleichzuziehen. Das schaffe ich nicht mal ohne Bronchitis.

Aber schön wäre es schon. Einfach mal so hochhüpfen! 

Jedenfalls stiefelten mein Freund und ich lange herum, beobachteten Rosenkäfer, Hummeln, Bienen, Grashüpfer aller Art, auch riesige Hornissen, und ich dachte, wie schön es ist, dass es noch so viel zu lernen gibt für mich.